Freitag, 23. Januar 2015

Buchvorstellung: Stuttgart in den 50er und 60er Jahren

Claus-Peter Hutter (Hrsg.):
Maultaschen und Motoren

Stuttgart und das Neckarland in den
50er und 60er Jahren


 
Claus-Peter Hutter als Herausgeber dieses Buches ist im „Ländle“ kein Unbekannter. Vor allem in Sachen Natur und Umwelt ist der umtriebige Unterländer aus Marbach am Neckar ein Begriff. Jetzt legt er aber als Herausgeber zusammen mit anderen einen opulenten Bildband - Prachtband ist sicher keine Übertreibung - über das alte Stuttgart und das Neckarland vor.

Man kann es ruhig so sagen: Das Buch ist vom Inhalt her gewichtig. Vom Gewicht her aber auch… - oder anders herum gesagt: Man bekommt was für sein Geld! Nostalgiker werden sich freuen, Heimatverbundene, Historiker, Fotofreunde, Menschen, die vor 1960 geboren sind - also quasi alle -, weil sie sich beim einen oder anderen Bild an früher erinnern (wo doch alles besser war ???) und nach 1960 geborene, weil sie einen lebensechten Eindruck in die Welt ihrer Eltern und Großeltern bekommen. Dieser Bildband dokumentiert auf 341 (!) faszinierenden Fotos, zum großen Teil unveröffentlicht, die rasanten Veränderungen nach dem Krieg in Stuttgart. In anderen Städten ging es aber nicht anders zu, das Rad dreht sich aber vielleicht in Stuttgart etwas schneller? Wie schnell es sich aber überhaupt dreht, macht einem dieser Band klar.

Mistwagen, Daimler und Porsche, eine Königin und König Silberzunge…
Die 1950er und 1960er Jahre sind ja nun auch nicht sooo lange her. Und trotzdem, eine ganz andere Welt damals. Man kann sich diesem Eindruck und diesem Gefühl nicht entziehen. Der Autor dieser Zeilen, der jene Zeit als Kind erlebte, weiß von was er spricht. Auch er wuchs im Dunstkreis der Großstadt zwischen Resten bäuerlichen Lebens und Citygefühl auf.

»Maultaschen und Motoren« ist somit eine berührende Reise in die schwäbische Metropole der Mitte des 20. Jahrhunderts. Stuttgart mit dem Neckarland war damals eine Großregion im Umbruch, wie auch Hutter konstatiert, deren Entwicklung in dieser Geschwindigkeit und Konsequenz innerhalb von Deutschland sich vielleicht nur noch mit dem Ruhrgebiet vergleichen lässt. Nur steht das Ruhrgebiet heute anders da als Stuttgart. Was aber auch mit dessen Altlasten zu tun hat.

Die 50er und 60er Jahre war unter anderem auch die Epoche als allen Ernstes über »Wübahoz« als Einheitsbegriff für Württemberg, Baden und Hohenzollern nachgedacht wurde - die Vereinigung der drei Länder war ja nicht einfach und Nachwehen gibt es heute noch, Mercedes Benz und Porsche zu den großen Industrieunternehmen in Deutschland aufstiegen und die Menschen in einer bizarren Welt zwischen Mistwagen, Ernte mit der Hand in harter Arbeit, aber auch mit schnellen Autos lebten. Es war die Epoche, auf deren Arbeit und Entwicklung der heutige Wohlstand in der Region Stuttgart beruht.

Aber auch die Kultur und ihre Stars sowie sonstige Berühmtheiten kommen nicht zu kurz: Gary Cooper war hier - um seinen Mercedes persönlich abzuholen, Yehudi Menuhin, Maria Callas, Jimi Hendrix. An Politikern und Menschen aus staatsnahen Bereichen de Gaulle, Theodor Heuss natürlich, Gustav Heinemann, Willy Brandt, die Queen und „König Silberzunge“ Kurt Georg Kiesinger deroselbst gab ein Heimspiel. Die Straßenbahnen drängten sich zwischen den Menschen und Autos am Schlossplatz, Bierkutscher fuhren ihre Ladung noch mit wirklichen Pferdestärken aus (wer erinnert sich eigentlich noch an die Eisblöcke, die man damals noch zum Kühlen erwerben konnte?), Trümmer gab’s natürlich auch noch, so zum Beispiel die vom Neuen Schloss, dessen Wiederaufbau längst nicht gesichert war, der Mülleimer hieß bei den Stuttgartern Victor, Hochhäuser wurden gebaut, Mädchen und Buben waren noch brav (oder sahen zumindest so aus) - kein Gedanke seinerzeit daran, dass einige Mitglieder der „Baader-Meinhof-Bande“ resp. der Rote Armee-Fraktion aus Stuttgart kamen. Modeschauen, ein seinerzeit existierendes Modegeschäft, an das sich der Autor noch erinnert, warb mit „billigsten Preisen“ - kommt einem doch bekannt vor? Eine Gerberei trocknete Garbenstricke im Freien, während eine Seite weiter Ferry Porsche stolz in seiner Fabrikhalle die Herstellung seiner Luxusautos vorstellte. Auf der Solitude wurden noch Rennen gefahren. Und so weiter, und so fort, 341 Fotos insgesamt.

Tja, was für eine Zeit…

Die Bilder dieses Bandes sind nach Themenkreisen geordnet, aber auch wild durcheinander wäre das Blättern in dem Buch ein Erlebnis. Sie stammen vom Haus der Geschichte, vom Landesmedienzentrum, teils von bekannten Fotografen selbst, Privatpersonen und vielen Archiven von Firmen und Institutionen. Es war sicher eine rechte Fleißarbeit, sie zusammenzutragen und man kann den Bildgebern und dem/den Suchenden und letztendlich auch dem Verlag für ein solches Werk nur dankbar sein.

Claus-Peter Hutter (Hrsg.): Maultaschen und Motoren. Stuttgart und das Neckarland in den 50er und 60er Jahren. 300 Seiten. 28,5 x 31 cm. 341 Fotografien. Gebunden mit Schutzumschlag. Emons Verlag. ISBN 978-3-95451-403-8. Euro 39,95 [D] , 41,10 [AT]


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